Zeit- und Kostenüberschreitungen sind in der Baubranche weltweit ein häufiges Problem, besonders bei Großprojekten. Deutschland bildet da keine Ausnahme. Es gibt prominente Beispiele, die dieses Problem im deutschen Kontext deutlich illustrieren.
Flughafen Berlin Brandenburg
Beispielsweise wurden die Bauarbeiten am Flughafen Berlin Brandenburg 2006 nach 15-jähriger Planung aufgenommen. Ursprünglich sollte er 2010 eröffnen, aufgrund schlechter Planung, mangelhafter Ausführung und schlechten Managements kommt es jedoch ständig zu Verzögerungen und Kostenüberschreitungen. Das Eröffnungsdatum wurde auf 2017, inzwischen auf Oktober 2019 verschoben und die geschätzten Kosten stiegen von 2,5 Milliarden Euro auf 6,9 Milliarden Euro (Stand Mai 2016).
Stuttgart 21
Stuttgart 21 ist ein Eisenbahn-und Stadtentwicklungsprojekt im Rahmen der Neu- und Ausbaustrecke Stuttgart-Augsburg. Das Projekt wurde im April 1994 offiziell angekündigt, die Bauarbeiten begannen im Februar 2010. Die Kosten wurden 1995 offiziell mit 2,5 Milliarden Euro veranschlagt, im März 2013 lag die Schätzung der Gesamtkosten jedoch bei 6,5 Milliarden Euro. Geschätzter Betriebsbeginn sollte 2019 sein, dieser wurde jedoch auf 2021 verschoben.
Die Elbphilharmonie
Die Elbphilharmonie ist ein Konzertgebäude in Hamburg und gilt als eines der größten und modernsten der Welt. Der Bau begann 2007 und sollte 2010 abgeschlossen sein, bei geschätzten Kosten von 241 Millionen Euro. 2008 wurde der Vertrag geändert und die Kosten wurden mit 450 Millionen Euro veranschlagt, 2012 wurde die Schätzung auf über 500 Millionen Euro korrigiert. Der Bau wurde schließlich im Oktober 2016 fertiggestellt, die Kosten betrugen 789 Millionen Euro und die Elbphilharmonie wurde am 11. Januar 2010 eingeweiht.
Zeit- und Kostenüberschreitungen werden durch mehrere Faktoren verursacht, generell lässt sich aber folgendes feststellen:
Fehlgeschlagene Versuche, digitale Lösungen einzusetzen
Digitale Lösungen sind allgemein und relativ teurer als die herkömmlichen und Standardlösungen, an die die Branche gewöhnt ist. Nach der alten Denkweise ist die Implementierung digitaler Lösungen zeitaufwendig und die Risiken werden mehr oder weniger nur dem Auftraggeber zugeschrieben. Bei neuerer Technologie und mit dem jüngsten Verständnis neuer Software erweist sich dies jedoch als nicht zutreffend. Tatsächlich unterstützen Baumanagement-Tools, BIM, BIM-Tools und verwandte Technologie ein integriertes Übergabesystem und verteilen die Verantwortungsbereiche durch gemeinsame Datennutzung in Echtzeit und durch Transparenz entsprechend an die jeweiligen Beteiligten. Für ein gründlicheres Verständnis dieses spezifischen Falls verweisen wir auf diesen Artikel über neue Ideen in der konstruktiven Zusammenarbeit.
Unzureichende Vorgaben im Vergaberecht, die öffentliche Instanzen zwingen, dem billigsten Anbieter den Zuschlag zu geben
In Deutschland müssen bei öffentlichen Projekten Auftragsvergabegesetze befolgt werden, die die Einhaltung formaler Ausschreibungsverfahren verlangen. Das niedrigste Angebot außer Acht zu lassen, kann dazu führen, dass der betreffende Anbieter ein Gerichtsverfahren anstrengt. Es wäre schwierig, den Anbieter mit dem niedrigsten Preis abzulehnen, auch wenn das Planungs-/Bauteam mit dessen Plänen nicht unbedingt einverstanden ist.
Politischer Einfluss bei Großprojekten
Bei Großprojekten in Deutschland kann die Politik späte Entwurfsänderungen beeinflussen, was Zeitaufwand und Kosten in die Höhe treiben kann.
Mangelhafte administrative Struktur/unzureichend definierte Verantwortungsbereiche
Noch 2014 fiel in Deutschland die Vorgehensweise beim Projektmanagement unter die „klassische“ Verteilung von Rollen und Verantwortungsbereichen, bei der der Auftraggeber für die gesamte Konzeption verantwortlich ist. Auch wenn die Planung an einen Auftragnehmer vergeben wird, hat der Auftraggeber intern oder extern niemanden, der für die Kontrolle der Konzeptions- und Bauprozesse zuständig ist. Probleme in Zusammenhang mit diesem Aspekt könnten bei den Verzögerungen beim Bau des Berliner Flughafens eine zentrale Rolle spielen.
Unzureichende Planung und Vorbereitung
Unzureichende Planung und Vorbereitung führen unweigerlich zu Verzögerungen. Noch 2014 war es üblich, dass Entwurfsdetails bei Vertragsabschluss offen blieben und dass der Konzeptionsprozess erst bei Baubeginn wirklich durchgeplant ist. Diese Praxis führte dazu, dass veränderte Entwürfe vorgelegt wurden, die Änderungen erforderlich machten, was Dominoeffekte, die sich auf Vertragsprogramme auswirkten und unerwünschten zusätzlichen Zeitaufwand und Kosten mit sich brachten, zur Folge hatte. Wenn die Risikostruktur nicht im Vertrag umrissen war, war eine sachgemäße Planung schwierig, weil die Verantwortung für besagte Risiken nicht eindeutig festgelegt war.
Gesetzlicher Rahmen für Zeit- und Kostenüberschreitungen
Vor dem Hintergrund des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Standardregelungen für den Bau (Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil B – VOB/B) stellt Dr. Markus Beaumart folgende Fragen:
- Wer trägt das Risiko bei Änderungen?
- Welche rechtliche Basis existiert für einen Auftragnehmer, der Fristverlängerungen verlangt und entsprechende Kostenforderungen stellt?
- Was ist nötig, um derartige Forderungen zu stellen? Welche Absicherungsmaßnahmen stehen zur Verfügung?
- Welche Garantien bezüglich der Fertigstellung sind möglich? Welche Vertragsstrafen können vereinbart werden?
Er beantwortet diese Fragen in einem großartigen Essay, den ich so knapp wie möglich zusammenzufassen versuche. Laut Beaumart ist das Risiko von Änderungen vertragsabhängig. Wenn der Vertrag auf Einheitspreisen basiert (Einheitspreisvertrag) trägt der Auftraggeber das Risiko zusätzlicher Arbeiten. Häufiger entscheiden sich jedoch die Parteien für einen Pauschalpreisvertrag. Der Pauschalpreis schützt nicht vollständig vor dem Risiko der Forderung zusätzlicher Zahlungen durch den Auftragnehmer – nur das Risiko des vermehrten Arbeitsaufwandes liegt beim Auftragnehmer. Andere Änderungen sind durch den Pauschalpreis möglicherweise nicht abgedeckt. Bei unvorhersehbaren Änderungen entscheiden die Gerichte in der Regel, dass der Auftragnehmer Anspruch auf zusätzliche Vergütung hat, da diese nicht durch den Pauschalpreisvertrag abgedeckt waren.
Einige gehen einen Schritt weiter und definieren den Umfang der Dienstleistungen in der Funktionalausschreibung. Bei dieser Art von Vertrag ist der Auftragnehmer verpflichtet, alle für die Erreichung der Bauziele erforderlichen Arbeiten durchzuführen. Bei diesem Arrangement ist jedoch die Forderung einer zusätzlichen Vergütung nicht möglich. Ansprüche können jedoch gestellt werden, wenn der Kunde für den Entwurf verantwortlich war und dieser unvollständig oder fehlerhaft war.
Um Planungsrisiken abzudecken, erlegen Auftraggeber in manchen Fällen Vertragsklauseln auf, die besagen, dass der Auftragnehmer erklärt, dass er den Entwurf gründlich geprüft hat und als durchführbar akzeptiert. Solche Klauseln sind nur gültig, wenn sie das Risiko einer unvollständigen Planung modifizieren. Die Gerichte entscheiden häufig, dass das Risiko einer fehlerhaften Planung des Kunden gemeinsam getragen wird, auch wenn der Auftragnehmer etwaige Planungsfehler bei sorgfältiger Prüfung hätte feststellen können.
Forderungen des Auftragnehmers
In Deutschland existieren 2 rechtliche Grundlagen für Forderungen von Auftragnehmern: Abschnitt 2, Paragraph 5 der Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil B – VOB/B, und Paragraph 642 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Abschnitt 2, Paragraph 5 der Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil B – VOB/B
Dieser bezieht sich auf Anordnungen des Auftraggebers, die die Vertragsbedingungen verändern, was normalerweise der Fall ist, wenn ein Kunde zusätzliche Merkmale wünscht, die vor dieser Forderung nicht innerhalb des Umfangs der Dienstleistungen des Auftragnehmers lagen. In derartigen Fällen kann der Auftragnehmer zusätzliche Zeit und ein zusätzliches Budget verlangen.
Paragraph 642 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
Diese Bestimmung betrachtet das Problem aus einem anderen Blickwinkel – Hier geht es um andere Probleme als um Anordnungen oder Änderungswünsche des Auftraggebers. Paragraph 642 schützt die Interessen des Auftragnehmers in Situationen wie verspäteter Vorlage von Planungsdokumenten, verspäteter Fertigstellung von Arbeiten, mit denen der Auftraggeber einen Drittunternehmer beauftragte, die zu Verzögerungen führen, die das Projekt insgesamt betreffen.
Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Abschnitt 2, Paragraph 5 der Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil B – VOB/B dem Auftragnehmer Anspruch auf eine angemessene Gewinnbeteiligung gewährt, während Paragraph 642 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur eine Entschädigung ohne Gewinnbeteiligung zulässt.
Forderungen nach Zeit und Kostenerstattung
Nach deutschem Recht ist es nicht so einfach, Forderungen nach zusätzlicher Zeit und Vergütung zu stellen. Forderungen müssen wie folgt begründet werden (Beaumart, 2014):
- Die als Grundlage für den Entschädigungsanspruch herangezogenen Preise müssen mit den im ursprünglichen Vertrag vereinbarten identisch sein. Dies zwingt den Auftragnehmer, seine Angebotskalkulationen zu offenbaren. Günstige Preise bleiben daher günstige Preise, nachteilige Preise ebenso.
- Die Auswirkung auf das geplante Projekt muss für jeden Zwischenfall detailliert nachgewiesen werden. Dies zwingt den Auftragnehmer auch, nachzuweisen, wo und in welchem Ausmaß Leerlaufzeiten und Verzögerungen in bestimmten Bereichen des Projekts durch mögliche Maßnahmen in anderen Bereichen hätten gemindert werden können. Nach Möglichkeit muss der Auftragnehmer Arbeiten neu planen und alternative Arbeitsmethoden anwenden, um die Auswirkungen von Hindernissen zu mildern.
- Wenn eine Verzögerung dem Auftragnehmer zuzuschreiben ist, wird er in manchen Fällen versuchen, die Verantwortung zu umgehen, indem er sich auf „gleichzeitige Verzögerungen“ durch andere Auftragnehmer, die vom Auftraggeber beauftragt wurden, beruft. In Deutschland ist die rechtliche Position anders als in bestimmten anderen Ländern: Mehrere Auftragnehmer, die für eine Projektverzögerung verantwortlich sind, haften gesamtschuldnerisch, sodass der Auftraggeber die gesamte Summe von einem der Auftragnehmer einklagen kann. Der betreffende Auftragnehmer muss dann die anderen Auftragnehmer in Regress nehmen, um ihre Anteile an der Verantwortung beizutreiben.
Die meisten Bauverträge in Deutschland verlangen ein realisierbares Fertigstellungsdatum – Fertigstellungstermine werden also festgelegt oder garantiert. Wird das Fertigstellungsdatum nicht eingehalten und ist die Verzögerung dem Auftragnehmer zuzuschreiben, kann der Auftraggeber Schadenersatzforderungen an den Auftragnehmer stellen. Die Beweisführung bei derartigen Forderungen ist recht schwierig, sodass in Deutschland die Vereinbarung von Vertragsstrafen üblich ist. Vertragsstrafen sind in der Regel bei 5% des Vertragspreises gedeckelt, bei einer täglichen Deckelung von 0,1% des Vertragspreises. Vertragsparteien, die dies nicht beachten, laufen Gefahr, die Vertragsstrafenklausel nichtig zu machen.
Die deutsche Baubranche befindet sich derzeit im Aufschwung, mit Aufträgen, die bis 2020 abzuarbeiten sind, insbesondere, um des derzeitigen Mangels an günstigem Wohnraum Herr zu werden. Angesichts einer alternden Bevölkerung und eines Mangels an hoch qualifizierten technischen Fachkräften wird die Fähigkeit, Zeit- und Kostenüberschreitungen bei Bauprojekten zu mindern, in einer aufstrebenden digitalen Wirtschaft ein enormer Vorteil sein.
Dieser Artikel ist unter sinnvolles Bauplanungsmanagement archiviert und basiert auf einer 2014 von DLA Piper durchgeführten Studie über Bauzeit- und Baukostenüberschreitungen in Deutschland.